Entgegen UN-Konvention und Grundgesetz hat ein Kind oder Jugendlicher bei Gefährdungslagen oder elterlichen Konflikten noch keine den Erwachsenen gleichwertige Möglichkeit, die Beachtung seiner Rechte bei Behörden und Gerichten einzufordern und Rechtsverletzungen abzuwehren.
Die bestehende Verfahrensbeistandschaft im Kindschaftsrecht erscheint bei Licht besehen eher als „Etikettenschwindel“ und „Täuschung“, als ein Beitrag zur Aufwertung des Kindes zu einem Rechtssubjekt.
Warum?
Der jetzige Interessenvertreter des Kindes ist anders als die Rechtsvertreter der Erwachsennen von dem Richter, den er kontrollieren soll, abhängig. Der „Verfahrensbeistand“ bedarf keiner besonderen Ausbildung, ist wirtschaftlich nicht abgesichert, seine Tätigkeit steht unter keiner Fachaufsicht.
Das gerichtliche Kindschaftsverfahren droht damit – was die Aussicht auf einen im Einzelfall gelingenden Kinderschutz betrifft – nach vorliegenden Erhebungen eher ein Lottospiel zu bleiben. Entgegen rechtsstaatlichen Grundsätzen damit auch zufallsabhängig von der Person des Verfahrensbeistandes wie des jeweiligen Richters, ob die Garantien des Grundgesetzes für Kinder und Jugendliche zur Geltung kommen.
Mangels Ausbildung in kinderkundlichen Bereichen erfolgt auch heute noch regelmäßig keine dem jeweiligen Kind oder Jugendlichen angemessene Einbeziehung seiner Person und des familiären Hintergrundes durch das Gericht. In der Folge und oft auch aus Unkenntnis aller ambulanten Hilfsmöglichkeiten ist dem Richter eine verantwortliche Beurteilung verwehrt, welche unterstützenden Maßnahmen zur Gefahrenabwehr vorrangig wären. Der Begriff „Kindeswohl“ verschleiert zusätzlich, dass eine Ausgrenzung von Eltern oder eines Elternteils aus dem Leben des Kindes bzw. eine statisch wirksame Regelung der Beziehungen zum Kind tatsächlich ein Entzug des kindlichen Grundrechts auf weitere eigenverantwortliche Betreuung und Erziehung durch beide Elternteile beinhalten.
Der danach naheliegende und in der Praxis oft ohne ausreichend Begründung anzutreffende Eingriff in Grundrechte des Kindes verlangt nach seiner Vertretung durch eine pädagogisch/psychologisch wie juristisch kompetente und unabhängige Anwaltschaft.
Zum Beispiel müssen Elternkonflikte keinesfalls, wie z.B. OLG Brandenburg oder sogar das Bundesverfassungsgericht noch meinen, als unbeeinflussbar hingenommen werden. Der Kollege Rudolph und ich haben wie einzelne weitere Kollegen über viele Jahre nachgewiesen, dass Eltern durch qualifizierte und ihre Liebe zum Kind ins Zentrum stellende Interventionen regelmäßig ohne rechtlichen Eingriff in ihre Verantwortung zur Fortführung am Kind orientierter gemeinsamer Elternschaft veranlasst werden können.
Neben der notwendigen Etablierung einer unabhängigen Anwaltschaft für das Kind auch in Form von besonderen Anlauf-, Klärungs- und Beschwerdestellen für Kinder, Jugendliche und sich für sie verantwortlich fühlende Erwachsene ist das Gesetz an anderer Stelle zu entrümpeln:
Probleme eines Kindes dürfen nicht länger nur bezogen auf das vordergründige Symptom in voneinander isolierte und kostenintensive Verfahren aufgespalten und die summierenden Kosten der betroffenen Familie angelastet werden. Die Behandlung des einzelnen Symptoms – z.B. hier Umgang, dort Schulausbildung, Fremdunterbringung, Adoption usw. – ohne ganzheitliche Einbeziehung des familiären Systems verschärft eher die Probleme zu Lasten des zu schützenden Kindes als sie zu lösen. Mit unübersehbaren Folgen für uns alle.
Auch im Jugendgerichtsverfahren darf es nicht „wie bisher“ weitergehen und dem Jugendlichen in jedem gerichtlichen Verfahren die alleinige Verantwortlichkeit für rechtswidrige Handlungen angelastet werden. Eine not-wendige Verteidigung, besser Führung des Jugendlichen durch das Verfahren durch fachübergreifend kompetente unabhängige Beistände, die zugleich die zivilrechtliche Seite elterlicher Verantwortung wahrnehmen, ist auch hier unverzichtbar.
Ursachen für delinquentes Verhalten sind, wie Kriminologie und richterliche Erfahrung zeigen, nämlich regelmäßig im familiären Hintergrund ebenso zu suchen, wie bei ausgebliebenen oder unangemessenen Interventionen durch Jugendhilfe und Justiz in der Kindheit der Jugendlichen. Nur eine Intervention, die auf das familiäre System als Ganzes einwirkt, kann helfen, Ursachen für delinquentes Verhalten aufzulösen und die Jugendlichen vor weiteren sie und die Gemeinschaft schädigenden „Ausbrüchen“ zu bewahren. Dafür muss der mit Jugendlichen befasste Richter auch für die entsprechenden Sorgeverfahren ohne weiteres zuständig werden.
Auch in der Jugendhilfe gilt es, die Rechte eines Kindes durch eine eigene Anwaltschaft in allen Hilfeplan- sowie Verfahren zur Inobhutnahme wahrnehmen zu lassen. Umso mehr als zu Lasten der Gewaltenteilung das Jugendamt heute noch die Möglichkeit hat, Eltern-Kind-Trennungen ohne gerichtliche Anordnung durchzuführen. Die dadurch gegebene Vermischung inkompatibler Funktionen in der Behörde gilt es gesetzlich zu beenden.
Mit dem Abgleich von Vorschriften der UN-Konvention über die Rechte des Kindes und deutschen Normen wird dringender Handlungsbedarf für den Aufbau verschiedener Einrichtungen einer fachübergreifend besetzte unabhängigen Anwaltschaft für Kinder und Jugendliche unterstrichen.
Die von ABC-Kindesvertretung projektierten und durchgeführten Informationsveranstaltungen und Weiterbildungskurse sind ein Schritt auf dem Weg zur rechtsstaatlich gebotenen Qualität von Kindschafts- und Jugendverfahren.