Mein großer Lehrer hat vor einem Jahr im Januar die Erde verlassen.
Anlass für mich, in Dankbarkeit einige Eckdaten mitzuteilen, die (nicht nur) für meinen Lebensweg von besonderer Bedeutung waren:
1976: Als Psychologe hilft er mir und meiner Familie, mit schulischen Turbulenzen, in die meine älteste Tochter geraten ist, angemessen umzugehen.
Als am 1. Juli 1977 das neue Familienrecht in Kraft tritt, erklärt er sich als Leiter des Heilpädagogischen Instituts der Fachhochschule Bochum bereit, uns 7 neu gebackene Bielefelder Familienrichter in regelmäßigen kostenfreien Weiterbildungen die psychologisch bedeutsamen Hintergründe von Trennungsfamilien ebenso aufzuzeigen, wie Strategien eines hilfreichen Vorgehens zur Verwirklichung des „Kindeswohls“ aufzuzeigen.
Von Beginn an ergeben sich aus dieser Schulung und seiner Tätigkeit als ausnahmslos mündlicher Sachverständiger in den einzelnen Verfahren wesentliche Perspektivänderungen für mich wie nachfolgend für alle. Hilfe statt Eingriff ist nicht mehr bloße Devise, sondern gemeinsam organisierte erfolgreiche Realität.
Ein besonderes Beispiel dafür: Seine konkreten Beratungen für uns Familienrichter führen bei mir bereits 1977 unabhängig vom Streitstand zu Hausbesuchen bei allen Kindern im Beisein beider Elternteile. Dies wiederum wird Ausgang einer Erfahrung, mit der niemand gerechnet hatte: Zerstrittene Elternteile „verlieren die Unschuld ihres Streitens“, wie er es formuliert; erklären sich bei den Hausbesuchen regelmäßig bereit, Hilfen anzunehmen. Können wählen zwischen konkret verabredeter außergerichtlicher Beratungsarbeit bei Verabredung eines Kontrolltermins oder Zusammenarbeit mit einem als Berater beauftragten Sachverständigen.
Aus „hochstrittigen“ Elternteilen werden von jetzt auf gleich „hilflose Menschen“; offen für auf Befriedung gerichtete Hinweise. Die Veränderung ist mit Ausnahme weniger psychisch erkrankter Elternteile zu 100 % tatsächlich befriedend, führt 1980 zu meinem Vorlagebeschluss an das Bundesverfassungsgericht zur gemeinsamen Sorge.1982 stellt das Gericht nach mündlicher Verhandlung unter meiner Mitwirkung – jetzt als Sachverständiger für den Deutschen Kinderschutzbund zusammen mit Prof. Dr. mult. Fthenakis und Prof. Dr. med. Pechstein – die Verfassungswidrigkeit des § 1671 Abs. 4 BGB fest, mit dem 1980 eine gemeinsame Sorge bei Scheidung ausgeschlossen worden war.
Von Anfang an, also ab 1977 führen seine Anregungen in Bielefeld zu regelmäßigen Fachkonferenzen der Richterschaft des Familiengerichts mal mit allen Mitarbeiterinnen und –arbeitern des Jugendamts, dann mit allen potentiellen Beratern, ebenso wie mit allen sich anbietenden Sachverständigen und schließlich mit allen Familienrichtern des Landgerichtsbezirks.
Mit meinem Wechsel 1980 in das Amt des Vorsitzenden eines Jugendschöffengerichts und Jugendrichters geht die Zusammenarbeit zwischen Prof. Dr. Klenner und mir in diesem Feld weiter. Nun werden Jugendliche und ihre Eltern von ihm und MitarbeiterInnen der von ihm gegründeten heilpädagogischen Ambulanz aus den jugendgerichtlichen Verfahren geholt und begleitet. Strafende Sanktionen gegen die jugendlichen Delinquenten können darüber regelmäßig vermieden werden.
Die Zusammenarbeit zwischen Gerichtsbarkeit und Psychologie wird in zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen beginnend zum Internationalen Jahr des Kindes 1979 wie auch dem Familiengerichtstag vorgestellt.
Sichtbar wird, dass nur in diesem Bereich ausgebildete Richter nicht ohne Weiteres in der Lage sein können, die Not von Kindern wie Erwachsenen konkret auch gefühlsmäßig zu erfassen, geschweige denn verantwortlich genau angepasste Hilfen einzuleiten oder geringstmögliche rechtliche Eingriffe zu tätigen. Als Vorstandsmitglied des DKSB gelingt es mir, mit Prof. Dr. Klenner eine Gruppe von Wissenschaftlern und Praktikern zusammenzustellen. Aufgrund dieser Arbeit fertigt er das Konzept einer als fachübergreifendes „Tandem“ aufgestellten und außergerichtlich wie gerichtlich operierenden Anwaltschaft für das Kind aus. Dieses Modell wird nach eingehender Aussprache der Mitglieder 1982 von der Bundesversammlung des DKSB zur „Verhinderung gerichtsförmiger Gewalt“, wie es dort heißt, ohne Gegenstimmen verabschiedet.
Unter dem Titel: „Der Anwalt des Kindes als Konsequenz heutigen Verständnisses vom Kindeswohl“ wird 1983 das Konzept in der ev. Akademie Bad Boll in Anwesenheit namhafter Persönlichkeiten der Öffentlichkeit vorgestellt und als ein mögliches wünschenswertes Institut akzeptiert. Nach dieser positiven Resonanz initiieren Prof Dr. Klenner und ich noch im gleichen Jahr am 12. September die Gründung des Verbandes Anwalt des Kindes in Bielefeld durch insgesamt 13 Personen.
Bis zu seinem Tod im Januar 2015 hat Prof. Dr. Klenner meinen Weg begleitet. Seine Lehren und Hinweise standen auch Pate, als meine Frau und ich nach unserer Pensionierung mit Seminaren begonnen haben. Zielrichtung war und ist die
(Wieder-) Befähigung erwachsener Bindungspersonen von Kindern, trotz Krise ihrer Verantwortung ohne dauerhaft eingreifende staatliche Maßnahmen den in aller Regel beiderseits geliebten Kindern gegenüber erneut gerecht zu werden.
Wie die Rückmeldungen von heute agierenden Verfahrensbeiständen zeigen, wird von ihnen inzwischen erfolgreich weiter getragen, was Klenner begründet hat:
Das genaue Wahrnehmen der Einstellung und Haltung bei sich selbst, bei den betroffenen Erwachsenen wie bei den staatlich beauftragten Helfern. Eine genaue Hypothesenbildung im Hinblick auf die notwendigen Bedingungen für die zukünftige gesunde Entwicklung des jeweiligen Kindes. Konkrete Strategien der wirksamen Beeinflussung von Fehlhaltungen, die den Kindesrechten und ihrer Verwirklichung entgegenstehen. Dabei in jedem Stadium das Prinzip der Verhältnismäßigkeit als zentrale Handlungsmaxime.

Sein Obersatz für den zielführenden Einsatz eigener Energien seit 1977 bis heute:
„Arbeite nicht gegen den Fehler, sondern für das Fehlende“.

Wer bereit ist, diesen Weg zu unterstützen, ist herzlich willkommen!