Das Kind auf dem Weg zu einer gleichwertigen Rechtspersönlichkeit

Notwendigkeit und Zielrichtung einer kompetenten Vertretung kindlicher Rechte in behördlichen und gerichtlichen Verfahren erschließen sich auf dem Hintergrund der historischen Entwicklung der Einstellung zur rechtlichen Position des Kindes.

Gab es beispielsweise noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts zum Eltern-Kind-Verhältnis den Begriff der „elterlichen Gewalt“, so ist danach im Kindschaftsrecht eine Wandlung vom elterlichen „Sorgerecht“ (1980) zur elterlichen „Sorgepflicht“ (1998) erfolgt.

Bis 1982 wurde der Schutz des Kindes, dessen Eltern nicht verheiratet waren oder geschieden wurden, darin gesehen, dass es „klare Verhältnisse“ im Sinne einer möglichst dauerhaften Zuordnung des Kindes zu einem Elternteil geben sollte. Auch im Falle einer Ehescheidung konnte eine andere Regelung nicht getroffen werden. Zwar sollte ab 1980 bei der Zuweisung des „Sorgerechts“ auf einen Elternteil auf die „Bindungen des Kindes an Eltern und Geschwister“ Rücksicht genommen werden, eine für das Kind wichtige Aufrechterhaltung gemeinsamer Verantwortung der Eltern konnte auch danach jedoch selbst im Einzelfall nicht erfolgen. Ebenso wenig konnten entwicklungsbedingt zu erwartende Veränderungen zu einer anderen Lösung führen. Im Falle solcher Veränderungen mussten Elternteile für eine andere ausschließliche Zuordnung des Kindes erneut vor Gericht ziehen – und damit oft in ein neues Gefecht mit dem anderen Elternteil um Vormacht.

Das Kind hatte keine eigene rechtlich bedeutsame Position, war eher vergleichbar einem Hausratsgegenstand, für den die zukünftigen Besitzverhältnisse zu regeln waren. Ansprüche des Kindes auf Aufrechterhaltung gemeinsamer , wie theoretisch in Art. 6 GG verankert, kamen im einfachen Gesetz nicht vor.

Diese Handhabung elterlicher Trennung und Konfliktsituationen durch Gesetz und gerichtliche Praxis hatte für Kinder und spätere Erwachsene erhebliche negative Auswirkungen (Nachweise u.a. bei Anneke Napp-Peters; „Familien nach der Scheidung“). Unbeachtet blieb die seelische Befindlichkeit des Kindes aufgrund der Konflikte der Eltern vor, während und nach der Trennung. Der Dipl. Psych., Familientherapeut und langjährige Sachverständige Prof. Dr. Uwe-Jörg Jopt hat die Trennung der Eltern zutreffend in allen Fällen als „super-gau“ für das betroffene Kind bezeichnet. Damit verbundener Aufbau von existenziellen Ängsten ist dabei, je jünger das Kind, die Regel; so nicht zuletzt Erkenntnisse der Hirnforschung (Gerald Hüther; „Biologie der Angst“). Lebenslange nachteilige Auswirkungen für spätere Bindungs-, Glücksfähigkeit und Verhalten werden durch ein konflikthaftes Trennungsgeschehen und Ausgrenzung eines Elternteils aufgrund der in den Zellen des Kindes eingelagerten Erinnerungen vorprogrammiert, wie die Erkenntnisse der Zellforschung bei zB. Bruce Lipton: „Intelligente Zellen“ belegen. Den Kindern wird anstelle eines Modells für friedliche Konfliktlösungen vorbildhaft für späteres eigenes Verhalten vorgelebt, dass Konflikte zwischen Elternteilen = Männern und Frauen nur durch Kampf und Zuweisung einer Vormachtstellung gelöst werden können.

Welche Folgen für die eigene Entwicklung des betroffenen Kindes die Ausgrenzung eines Elternteils hat, wird plastisch in Jeannette Hagens „Die verletzte Tochter“ zugleich unter Einbeziehung wissenschaftlicher Erkenntnisse einfühlbar beschrieben.

Die 1980 eingeführte Pflicht des Gerichts, das Kind im Scheidungsverfahren „persönlich anzuhören“, war keine Verbesserung zum „Wohle des Kindes“. Sie diente unter der Zielstellung der unumgänglichen juristischen Ausgrenzung eines Elternteils ausschließlich einer Begründung der vom Gericht zu treffenden Auswahl. Die damals eingeführte und auch heute noch oft geübte Anhörungspraxis hat mit den Interessen des Kindes, seinen Liebesbedürfnissen und Grundrechten auf „freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ (Art. 2 GG), wie auf Betreuung und Erziehung durch beide „natürlichen Eltern“ (Art. 6 GG) nichts zu tun, wird vielmehr selbst oft Auslöser weiterer Verletzungen.

In einem Beitrag der FamRZ 2003, S.1315 stellt der Dipl. Psych. Prof. Dr. Wolfgang Klenner zur Frage der Erforschung des „Kindeswillens“ im Kontext familiengerichtlicher Entscheidungen fest:

„Als ich § 50 b FGG zum ersten Mal gelesen hatte, fragte ich mich, welcher Teufel wohl den Gesetzgeber geritten haben mag, als er formulierte: „oder der Wille des Kindes für die Entscheidung von Bedeutung sind…“, wo doch die Philosophen seit der Antike darüber nachdenken, was menschlicher Wille und Willensfreiheit bedeuten, ohne bisher zu einem schlüssigen Ergebnis gekommen zu sein.

Angesichts der weitreichenden Folgen sollte zweierlei nicht vergessen werden. Erstens, ein unbeeinflusster und dadurch freier Wille kann beim Menschen erst dann angenommen – und nicht einmal bewiesen werden, wenn er reif genug ist, die aus seiner Willenserklärung hervorgehenden Entscheidungen in ihren Konsequenzen zu überblicken und für diese Konsequenzen auch einzustehen. Dabei geht es ja nicht um die Frage, ob das Kind Wurst oder Käse auf seinem Brot haben will, sondern um die Bewahrung des Kindes vor einer das künftige Leben begleitenden nicht mehr rückgängig zu machenden voreiligen Entscheidung über seine familiären Beziehungen. Zweitens, darum haben die für die Kinder bis zu seiner Volljährigkeit verantwortlichen Erwachsenen für Lebensbedingungen zu sorgen, in denen Kinder keine Willensentscheidungen zugemutet werden, mit denen sie mangels Lebenserfahrung überfordert sein würden. Wo dies dennoch unter Berufung auf eine aus ideologischer Sichtweise resultierenden Idee der Selbstbestimmung des Kindes geschieht, entziehen sich die für das Kind verantwortlichen Erwachsenen ihrer erzieherischen Verantwortung…

Weil sich beide Eltern meist nicht so weit voneinander unterscheiden, dass einer empfohlen oder vor dem anderen gewarnt werden könnte, kam § 50b FGG gelegen, denn darin ist der Wille des Kindes berücksichtigungswert genannt. Seither wurden Kinder von berufenen und weniger berufenen Experten oft insistierend aufgefordert, doch nun endlich zu sagen, zu welchem Elternteil sie denn gehen wollen. Weil Kinder unter dem Druck der Erwachsenen eine Antwort geben, von der sie meinen, dass der Fragesteller sie hören wolle, nur um die lästige Fragerei loszuwerden, erwies sich die Einführung des Kindeswillens in die gerichtliche Entscheidung im Großen und Ganzen als Fiktion. Denn im tiefsten Grunde ihres Herzens wünschen diese Kinder, beide Eltern möchten ihnen wieder zusammen und für immer zur Verfügung stehen. Aber der Kindeswille passte so gut ins System…….“

Der Beginn einer neuen Einstellung zum Kind

1982 begann mit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 3. 11. ein Wandel der Einstellung zu Position des Kindes im deutschen Recht.

Ausgangspunkt der Entscheidung von 1982 war die ausdrückliche Feststellung,

„… dass die Dauerhaftigkeit familiärer Sozialbeziehungen heute als entscheidende Grundlage für eine stabile und gesunde psychosoziale Entwicklung des heran­wachsenden Menschen angesehen wird.“

Der Fortbestand gemeinsamer Elternverantwortung im Rechtssinne wurde sodann nicht nur für möglich gehalten. Vielmehr setzte das Bundesverfassungsgericht das im Falle der Scheidung der Eltern zu gewährleistende „Kindeswohl“ ausdrücklich mit möglichst ungeschmälert fortdauernden Beziehungen des Kindes zu beiden Elternteilen gleich,

„weil für das Kind der Übergang zur unvollständigen Familie dann am wenigsten schädlich ist, wenn seine Bindungen möglichst wenig beeinträchtigt werden“.

Elterliches Sorge – Recht wurde als elterliche Verpflichtung zu einem entsprechenden Verhalten definiert:

„Bei der Ausübung eines so verstandenen fortbestehenden Elternrechts müssen getrenntlebende oder geschiedene Eltern daher bemüht sein, die Kinder nicht mit ihren Konflikten zu belasten. Dazu gehört es insbesondere auch, dass ein Elternteil alles unterlässt, was das Verhältnis des Kindes zum Anderen beeinträchtigen könnte […]“ (BVerfG v. 3.11.1982 – 1 BvL 28/80, FamRZ – 1982, S. 1183)

Mit seiner Entscheidung zur fortdauernden gemeinsamen Sorge wurde in einem wichtigen Schritt die Möglichkeit eröffnet, Rechte und Pflichten zwischen Eltern und Kind in Krisensituationen neu und stärker vom Kind aus zu definieren.

Mit der konsequenten Umsetzung dürften wir auch heute erst am Anfang stehen.

Noch sind Gesetz und Praxis von Behörden gekennzeichnet von widersprüchlichen Anordnungen, wann immer es um die Position von Kindern in Trennungs- oder sonstigen Krisenfällen der Eltern geht.

Altes und Neues steht in Vorschriften oder unterschiedlichen Entscheidungen unverbunden im Raum:

Auf der einen Seite das Grundrecht des Kindes auf kindheitslange gemeinsame Betreuung und Erziehung durch seine Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG); auf der anderen z B. die Befugnis der Eltern in § 1671BGB, nach Trennung frei über diese Grundpflicht eines Elternteils durch seinen Ausschluss aus der elterlichen Sorge zu verfügen.

Auf der einen Seite die Verpflichtung, das Grundrecht eines jeden Bürgers zu gewährleisten, sich an allen Verfahren, die seine Rechte betreffen, jederzeit aktiv beteiligen zu können (Art. 103 Abs. 1 GG). Auf der anderen Seite in allen behördlichen und gerichtlichen Verfahren, in denen es um seine Grundrechte geht bei den jugendamtlichen Verfahren keine, in den Gerichtsverfahren nur eine eingeschränkte, von der Bestellung des entscheidenden Richters abhängige und nicht hinreichend ausgebildete Vertretung.

Eine Anwaltschaft für Kinder und Jugendliche, die gleichwertig mit den Vertretern für Erwachseneninteressen für eine Beachtung und Umsetzung kindlicher Rechte eintreten könnte, fehlt noch.

Ab 1998 sah das Gesetz zum ersten Mal in der Form der Verfahrenspflegschaft einen vom Richter zu bestellenden Beistand für das Kind vor. 2009 änderte sich der Begriff in Verfahrensbeistandschaft. Dieser Form der Kindesvertretung fehlt die Unabhängigkeit, die fachübergreifende Kompetenz, wie auch eine fachliche Kontrolle.

Internationale, für Deutschland verbindliche Vereinbarungen, wie auch zentrale Bestimmungen des Grundgesetzes verlangen nach einer umfassenden Neugestaltung von Vorschriften und organisatorischen Aufstellung von Behörden und Gerichte, die mit dem Schutz von Kindern, Jugendlichen und ihren Familien nach Art. 6 Abs.2 Satz 2 beauftragt sind.

Im Vortrag vor der Kinderkommission vom 8. 6. 2016 habe ich wesentliche Kritikpunkte und Lösungsvorschläge zusammengestellt.

Die hier dargestellten juristischen Grundlagen und dazu gehörige pädagogisch-psychologischen Erkenntnisse werden in den Seminaren erarbeitet, reflektiert und mit praktischen Umsetzungsmöglichkeiten gefüllt.

Wer sich als „Pionier“ im Einsatz für Kindesrechte in familiengerichtlichen Verfahren näher mit Einzelheiten und Strategien betätigen möchte, ist herzlich eingeladen von unserem Seminar-Angebot Gebrauch zu machen.