Vorbemerkung: In der hier folgenden Beschreibung fließen Erkenntnisse aus Psychologie, Zellbiologie und Epigenetik zusammen, wie sie sich uns momentan darstellen.

Die Bedeutung gemeinsamer Elternschaft zeigt sich besonders bei der Betrachtung der Identitätsentwicklung eines Kindes:

Vom ersten Moment seiner Zeugung an ist ein Kind Spiegel der Einheit seiner Eltern; d.h. es besteht aus Zellinformationen sowohl von seiner Mutter, wie von seinem Vater, und zwar genau 50:50 (wobei in ihnen, genau genommen wiederum die Anteile der jeweiligen Ahnen liegen!). Mit diesen lebt es sein Leben, gleichgültig, ob ihm das jemals bewusst wird oder nicht.

Auf Grund der körperlichen Ganzheit mit der Mutter vor der Geburt und der existenziellen Abhängigkeit von ihr trennt ein Kind zunächst nicht zwischen seinem SELBST und der WELT (= alles Äußere, auch Mutter).

Das bedeutet nicht, dass zwischen ihm und seinem Vater nicht auch schon in der Schwangerschaft eine innige Bindung bestehen kann; hier ist vor allem die emotionale Ebene angesprochen. Es gilt als erwiesen, dass ungeborene Babys bereits auf Stimme und Stimmung reagieren – und zwar positiv wie negativ.

Fehlt der Vater in der Schwangerschaft, fehlt dem Kind nicht nur die erste Basis für eine Beziehung zu ihm, sondern die Tatsache geht in der Regel einher mit großen Belastungen (physischen, sozialen, psychischen, finanziellen …) der Mutter, die als negative Stimmung auf das entstehende Kind einwirken.

Bei der Geburt wird ein Kind körperlich von seiner Mutter getrennt, es bleibt psychisch jedoch bis auf Weiteres eng mit ihr verbunden. Neugeborene haben noch keine Vorstellung von einem „ICH“,; sie wissen nicht, wo sie anfangen oder aufhören, was ihr Inneres ist oder was ihr Außen ausmacht. Alle Objekte (Bezeichnung auch für Personen!) oder Ereignisse erlebt ein Baby vor allem als Gefühle, die diese in ihm wachrufen. Diese sind nicht statisch, sondern immer in Bewegung, so dass das Leben als eine Folge von aneinandergereihten Augenblicken er-lebt wird. Dadurch, dass auch die Mutter sich mit dem Kind vollständig identifiziert und so die Illusion des Kindes bestätigt, entsteht eine enge Mutter-Kind-Symbiose („halluzinatorische Zwei-Einheit“), die als wichtige Grundlage des sogenannten Urvertrauens gilt. Und der Vater? Er wird nicht als „Einzel-Objekt“ wahrgenommen, sondern eher als „Ergänzung Mutter“, d.h. als „Ergänzung ICH“. Das gilt auch für ganz nahe stehende andere Bindungspersonen (Geschwister, Großeltern …). Für manche Väter ist das frustrierend. Viele Väter erleben diese Zeit auch als extreme Zurücksetzung. Und es ist auch in der Tat für ein Kind eine lebensbedrohliche Erfahrung, von der Mutter getrennt, also „ent-zweit“ zu werden. Doch heißt das nicht, dass dem Vater hier keine Bedeutung zukommt. Abgesehen davon, dass die Mutter gerade jetzt gute Unterstützung braucht, um ihrem Kind das zu geben, was es braucht (biol., hormonelle Gründe!), muss er, damit die Bindung und Beziehung weiter wächst, anwesend sein mit seiner sensiblen, einfühlenden Zuwendung, eben mit seiner ganz eigenen Art, was er natürlich auch nur kann, wenn die Mutter ihm dazu einen Platz einräumt.

Schon wenige Wochen nach der Geburt beginnt der ebenso spannende wie konfliktreiche Ablösungsprozess eines Kindes von seiner Mutter, der Schritt für Schritt alle Ebenen umfasst: biologische, psychische, emotionale, soziale .. Erst dadurch entwickelt sich ein eigenständiges, selbst-bewusstes Leben.

Der erste Schritt: Fast über Nacht werden Babys im Alter von etwa 2-3 Monaten zu „sozialen Wesen“, die zum ersten Mal lächeln und dabei entdecken, dass es ein Gegenüber gibt, welches sich allerdings zunächst als eigenständiges Objekt nur partiell und nur in direktem Kontakt erschließt, d.h. eine Stimme, ein Geruch, die Brust der Mutter, der Wind, die Hand des Vaters …. werden als „Nicht-Ich“ erfahren, und erst im Laufe der Zeit vereinen sich verschiedene Teilbilder zu verschiedenen Gesamtbildern. Es entsteht mit der Zeit ein inneres Gesamt-Mutterbild.

Zeigt sich ein Lächeln im Alter von ca. 7-8 Monaten auf dem Gesicht eines Kindes, wenn die Mutter nach kurzer Abwesenheit zurück kommt, signalisiert dies die Wiedererkennung und Erfüllung seiner Erwartung.

Jetzt beginnt ein weiterer wichtiger Entwicklungsschritt: die Spiegelung; die Spiegelung seines Innenbildes (Phantasie) mit dem Außenbild (Realität). Und das heißt: Wiedererkennen, abgleichen, unterscheiden, in Frage stellen, bestärken oder korrigieren – in den ersten Jahren sicher noch total unbewusst, später dann als bewusster Denkprozess. Im Gegenüber mit dem Anderen kann es sich erfahren und wachsen.

Immer noch nimmt ein Kind wohl nicht zwei getrennte Identitäten (hier Mutter – dort Vater) wahr, sondern es ordnet eher der Mutter quasi ein „zweites Gesicht“ zu. Das bedeutet, dass ein Kind in diesem Alter zwar zwei verschiedene Gestalten wahrnimmt, diese aber mit komplett den gleichen Eigenschaften verbindet.

Je stimmiger dann die Passung seiner inneren Anteile mit dem äußeren Gegenüber ist, desto eindeutiger gelingt der Prozess der Identitätsbildung, und zwar sowohl der eigenen, wie auch der anderen Identitäten.

Hier kommt die Bedeutung der leiblichen Eltern besonders zum Tragen, denn nur sie verfügen über eine Passung, die zur Entfaltung des Kindes notwendig ist. Die gleichwertige Bedeutung beider Elternteile, die Präsenz der männlichen, wie der weiblichen Komponente im Leben eines Kindes, wie sie in der Psychologie betont wird, wird aus der epigenetischen Forschung heraus seit einigen Jahren auch biologisch begründet.

Neben dem Prozess des „imprintings“, wie er in der Epigenetik benannt wird und die in den ersten Lebensjahren besonders intensiv ist, ist das Zusammenspiel der Eltern vor allem im ersten Lebensjahr eines Kindes eine wichtige Grundlage der Selbstfindung. Und zwar in Hinblick auf den weiteren Ablöseprozess des Kindes aus der engen Symbiose mit der Mutter hin zum Ich-Bewusstsein, zur „psychischen Geburt“, wie sie im Alter von ca. 3 Jahren angenommen wird.

Ein Vater hilft seinem Kind sozusagen dabei, durch die Freude am Entdecken der Welt den Verlust der körperorientierten Zweisamkeit mit der Mutter zu verschmerzen. Beides, die weitere natürliche Reifung des Kindes, (Spracherwerb, Laufen lernen ..) und die Präsenz und Aktivität des Vaters bedingen sich wechselseitig. Allgemein gesprochen kann man sagen, dass Väter eher ihre Kinder dazu auffordern, sich expansiv auf neue und ungewisse Situationen einzulassen, Grenzen auszuloten und Risiken einzugehen und sie räumen mehr Bewegungsmöglichkeiten ein. Für die kognitive Entwicklung, die Entwicklung von Selbstvertrauen, wie auch für die soziale Entwicklung sind das notwendige Maßnahmen.

Auf dem Wege zur Selbständigkeit und Autonomie muss ein Kind im weiteren Verlauf lernen, dass ein Unterschiedensein und Getrenntsein nicht bedeutet, allein und verloren zu sein. Es muss außerdem erfahren, dass ein und dasselbe Objekt befriedigende und frustrierende Seiten hat, dass es selbst das Objekt liebt und hasst, ohne dass es angesichts von Wut und Frustrationen gleich Angst haben muss, die Beziehung zu verlieren, bzw. schon verloren zu haben. Diese Objektkonstanz gehört zu den wichtigsten, unerlässlichen Entwicklungsschritten einer gesunden psychischen Entwicklung.

Diese Reifeschritte gelingen über die Identifizierung mit dem Vater als eine von der Mutter getrennte, unterschiedliche und trotzdem geliebte Person. Er lebt dem Kind die Möglichkeit einer neuartigen, nicht-symbiotischen Liebesbeziehung mit der Mutter vor.

Doch nicht nur in den ersten drei Lebensjahren ist für die gesunde ICH-Entwicklung eines Kindes das „systemische Dreieck“ (Vater-Mutter-Kind) von großer Bedeutung.

Die geschlechtliche Identität und das eigene Selbstwertgefühl als Mann/ als Frau, wie auch der Umgang mit gegengeschlechtlichen Partnern wird grundlegend geprägt durch das Er-Leben in der Familie. Eltern sind in dieser Phase sowohl Vorbild (als Frau, als Mann, als Paar), wie Übungs-Partner.

Die psychologischen Kenntnisse werden auch für diese Entwicklungsphase aus der epigenetischen Forschung bestärkt: Es gibt offensichtlich Abläufe, die erst in den Jugendjahren auf Zellebene aktiviert, bzw. deaktiviert werden, weil dies genetisch so festgelegt ist. („Schläfer-Effekt“)

Zusammenfassend kann man sagen, dass es in keiner Phase der Entwicklung eines Kindes günstig ist, wenn ein Elternteil ausfällt – sei es durch Krankheit, Abwesenheit oder Entzug. Kein Elternteil kann durch den anderen oder eine andere Person wirklich ersetzt werden. Alle Lebensmodelle, die aus welchen Gründen auch immer die Triade (Vater-Mutter-Kind) beeinträchtigen oder sogar auflösen, bergen die Gefahr von Schäden in sich, wenn sie auch nicht zwingend zum „superGau“ führen müssen.