Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

1. Zur gemeinsamen Verantwortung von Eltern

BVerfG 03.11.1982 FamRZ 1982, 1183:

„Die Erziehung und Betreuung eines minderjährigen Kindes durch Mutter und Vater innerhalb einer harmonischen Gemeinschaft gewährleistet am ehesten, dass das Kind zu einer eigenverantwortlichen Persönlichkeit heranwächst und fähig ist, in einer Gemeinschaft zu leben. (vgl. BVerfGE 24, 119, 144, Zeitschrift für das gesamte Familienrecht (FamRZ) 1968, 578, 584)

Wie der Sachverständige Prof. Dr. Pechstein ausgeführt hat, entspricht es den Erkenntnissen in allen kinderkundlichen Wissenschaftsbereichen, dass die Dauerhaftigkeit familiärer Sozialbeziehungen heute als entscheidende Grundlage für eine stabile und gesunde psychosoziale Entwicklung des heranwachsenden Menschen angesehen wird.

Die gefühlsmäßigen Bindungen des Kindes an Mutter und Vater können unabhängig von der Trennung und Ehescheidung seiner Eltern fortbestehen. Wenn auch eine gemeinsame Wahrnehmung der Elternverantwortung durch beide Eltern in der bisherigen Weise nicht mehr möglich ist, so haben sie doch die Pflicht, die regelmäßig mit ihrer Trennung für die Entwicklung des Kindes verbundene Schädigung nach Möglichkeit zu mildern und eine vernünftige, den Interessen des Kindes entsprechende Lösung für seine Pflege und Erziehung sowie seine weiteren persönlichen Beziehungen zu ihnen zu finden (…). Bei der Ausübung eines so verstandenen fortbestehenden Elternrechts müssen getrennt lebende oder geschiedene Eltern daher bemüht sein, die Kinder nicht mit ihren Konflikten zu belasten. Dazu gehört es insbesondere auch, dass ein Elternteil alles unterlässt, was das Verhältnis des Kindes zum anderen beeinträchtigen könnte…..

Nach dem Kontinuitätsprinzip ist jedoch nicht nur eine sorgerechtliche Lösung anzustreben, die für die Zukunft eine möglichst einheitliche und gleichmäßige Erziehung des Kindes nach der Scheidung der Ehe seiner Eltern gewährleistet. Vielmehr sind auch die zum Zeitpunkt der sorgerechtlichen Entscheidung bestehenden gefühlsmäßigen Bindungen des Kindes an seine Eltern und seine Geschwister zu berücksichtigen (BVerfGE 55,171,184)). Davon ist auch der Gesetzgeber ausgegangen, als er in § 1671II Halbsatz 2 BGB die Rücksichtnahme auf die Bindungen des Kindes ausdrücklich angeordnet hat, weil für das Kind der Übergang zur unvollständigen Familie mit nur einem Elternteil dann am wenigsten schädliche sei, wenn seine Bindungen möglichst wenig beeinträchtigt würden (BT-Drucksache 8/2788,S.61)

Eine solche Beeinträchtigung ist allerdings unvermeidbar, wenn das Kind gleich starke emotionale Beziehungen zu Vater und Mutter hat und es sich dennoch für einen Elternteil entscheiden soll, obwohl sein Interesse auf eine kindheitslange unauflösliche Eltern–Kind–Bindung gerichtet ist. Insoweit erlaubt – wie Professor Dr. Dr. Fthenakis ausgeführt hat – die gemeinsame Sorge geschiedener Eltern für ihr Kind Kontinuität in einem Höchstmaß.“

2. Zum Grundrecht des Kindes auf Eltern

BVerfG v. 1.4.2008 – 1 BvR 1620/04 RN 72 f:

Mit dieser den Eltern durch Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG auferlegten Pflicht gegenüber dem Kind, es zu pflegen und zu erziehen, korrespondiert das Recht des Kindes auf Pflege und Erziehung durch seine Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG. Wird jemandem eine Pflicht auferlegt, die sich auf eine andere Person bezieht und die zugleich mit dem Recht verbunden ist, auf diese Person einzuwirken, für sie Entscheidungen zu treffen, ihre Interessen zu vertreten und auf ihre Persönlichkeitsentfaltung maßgeblich und zuvörderst Einfluss zu nehmen, so berührt dies den Kern höchstpersönlicher Lebensentfaltung des Anderen und schränkt dessen freie Willensentscheidung ein. Den Eltern eine solch tiefgreifende Einflussnahme auf das Leben ihres Kindes einzuräumen, rechtfertigt sich allein aus dem Umstand, dass das Kind noch nicht selbst für sich Verantwortung tragen kann und zu Schaden käme, wenn es hierbei keine Hilfe erführe. Bedarf aber das Kind solcher Unterstützung durch seine Eltern und ist deshalb die Elternverantwortung allein dem Wohle des Kindes verpflichtet wie geschuldet, dann hat das Kind auch einen Anspruch darauf, dass zuvörderst seine Eltern Sorge für es tragen, und ein Recht darauf, dass seine Eltern der mit ihrem Elternrecht untrennbar verbundenen Pflicht auch nachkommen. Dieses Recht des Kindes findet insofern in der elterlichen Verantwortung seinen Grund und wird damit von Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt. Es steht in engem Zusammenhang mit dem Grundrecht des Kindes auf Schutz seiner Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG, denn es sichert dem Kind den familiären Bezug, der für seine Persönlichkeitsentwicklung von Bedeutung ist. Die persönliche Beziehung zu seinen Eltern, ihre Pflege, Hilfe wie Zuwendung tragen wesentlich dazu bei, dass sich das Kind zu einer Persönlichkeit entwickeln kann, die sich um ihrer selbst geachtet weiß und sich selbst wie andere zu achten lernt.“

3. Zur Verhältnismäßigkeit

BVerfG 1968; Band 24 S 144 = NJW 1968, 2235

..Das Kind ist ein Wesen mit eigener Menschenwürde und dem eigenen Recht auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit im Sinne der Art. 1 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG. Eine Verfassung, welche die Würde des Menschen in den Mittelpunkt ihres Wertsystems stellt, kann bei der Ordnung zwischenmenschlicher Beziehungen grundsätzlich niemandem Rechte an der Person eines anderen einräumen, die nicht zugleich pflichtgebunden sind und die Menschenwürde des anderen respektieren….

….. Das bedeutet nicht, dass jedes Versagen oder jede Nachlässigkeit den Staat berechtigt, die Eltern von der Pflege und Erziehung auszuschalten oder gar selbst diese Aufgabe zu übernehmen; vielmehr muss er stets dem grundsätzlichen Vorrang der Eltern Rechnung tragen. Zudem gilt auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Art und Ausmaß des Eingriffs bestimmen sich nach dem Ausmaß des Versagens der Eltern und danach, was für das Interesse des Kindes geboten ist.

Der Staat muss daher nach Möglichkeit versuchen, durch helfende, unterstützende, auf Herstellung oder Wiederherstellung eines verantwortungsbewussten Verhaltens der natürlichen Eltern gerichtete Maßnahmen sein Ziel zu erreichen …“ 

BVerfG v. 8.3.2012 – 1 BvR 206/12 ZKJ 2012,307:

Es ist nicht hinreichend dargelegt, dass die konkret getroffenen Anordnungen zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich sind. Erforderlich ist eine Maßnahme dann, wenn von den zur Erreichung des Zweckes gleich gut geeigneten Mitteln das mildeste, also die geschützte Rechtsposition am wenigsten beeinträchtigende Mittel gewählt wird (BVerfGE 100.313,375). Die Gerichte mussten sich insoweit damit auseinandersetzen, ob mildere Mittel zur Verfügung standen, die ebenso geeignet gewesen wären, die festgestellte Gefährdung von dem Kind abzuwenden.“

Kommentar zum Verhältnis von Umgangsverfahren nach §§ 1684, 1685 zu Sorgeverfahren nach §§ 1666,1666a BGB:

Auch unter Berücksichtigung der BGH – Entscheidung BGH vom 26. 10. 2011 ( XII ZB 247/11 = ZKJ 2012, 107 ) sind Ermittlungsverfahren und Anordnungen unterhalb der Schwelle des Sorgerechtsentzuges nach §§ 1666 und 1666 a BGB bei laufenden Verfahren zum Umgang nicht nur nicht ausgeschlossen, sondern müssen nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit vorrangig vor endgültigem Beschluss nach §§ 1684,1685 BGB eingesetzt werden.

4. Zur Abwägung zwischen Gefährdung bei den Eltern und     Gefährdung durch Herausnahme

BVerfG v. 24.3.2014 – 1BvR 160/14 = ZKJ 2014, S. 242 ff:

Es läßt sich nicht mit hinreichender Sicherheit feststellen, dass die Trennung der Kinder geeignet ist, die von den Gerichten angenommenen Gefahren zu beseitigen oder abzumildern. Zwar wäre die Trennung grundsätzlich geeignet, die nach Ansicht der Gerichte bei der Mutter für die Kinder bestehenden Gefahren zu beseitigen.“                                                                                           Allerdings ruft die Trennung des Kindes von den Eltern regelmäßig eigenständige Belastungen hervor, weil das Kind unter der Trennung selbst dann leiden kann, wenn sein Wohl bei den Eltern nicht gesichert war.

Eine Maßnahme kann nicht ohne weiteres als zur Wahrung des Kindeswohls geeignet gelten, wenn sie ihrerseits nachteilige Folgen für das Kindeswohl haben kann. Solche negativen Folgen einer Trennung des Kindes von seinen Eltern und einer Fremdunterbringung sind zu berücksichtigen (vgl….) und müßten durch die Beseitigung der festgestellten Gefahr aufgewogen werden, so dass sich die Situation des Kindes in der Gesamtbetrachtung verbessern würde (vgl. BGH XII ZB 247/11 v. 26.10.2011)“ (S. 244,245)

Dazu aus der zitierten BGH Entscheidung . v. 26.10.2011 – Az:12 ZB 247/11= ZKJ 2012, 107 ff:

„… An der Eignung fehlt es nicht nur, wenn die Maßnahme die Gefährdung des Kindeswohls nicht beseitigen kann. Vielmehr ist de Maßnahme auch dann ungeeignet, wenn sie mit anderweitigen Beeinträchtigungen des Kindeswohls einhergeht und diese durch die Beseitigung der festgestellten Gefahr nicht aufgewogen werden…                                                                                            …..ungeeignet, wenn sie in anderen Belangen des Kindeswohls wiederum eine Gefährdungslage schafft und deswegen in der Gesamtbetrachtung zu keiner Verbesserung der Situation des gefährdeten Kindes führt… (ZKJ S. 109)

BVerfG v. 7.4.14 – 1 BvR 3121/13 = ZKJ 2014, 281ff 282:

„Eine Trennung des Kindes von seinen Eltern stellt den stärksten Eingriff in dieses Recht (Elternrecht nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG) dar. Sie ist nach Art. 6 Abs. 3 GG allein zu dem Zweck zulässig, das Kind vor nachhaltigen Gefährdungen zu schützen (a) und darf nur unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes erfolgen (b). …….                                                                                 Von einer unberechtigten Trennung von den Eltern verschont zu bleiben, liegt im Übrigen auch im durch das Grundrecht auf Gewährleistung elterlicher Pflege und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG,; vgl. BVerfG v 19.2.13-1BvL6/10) geschützten Interesse des Kindes.                                                                  Bei der verfassungsgerichtlichen Überprüfung eines die Trennung des Kindes von den Eltern vorbereitenden Sorgerechtsentzuges kommt ein strenger Kontrollmaßstab zu Anwendung. (283) ………                                                                                                                          Die Annahme einer nachhaltigen Gefährdung des Kindes setzt voraus, dass bereits ein Schaden des Kindes eingetreten ist oder eine Gefahr gegenwärtig in einem solchen Maße besteht, dass sich bei weiterer Entwicklung eine erhebliche Schädigung mit ziemlicher Sicherheit voraussehen lässt (vgl. ….)“ (282).

Zur Dringlichkeit einer einstweiligen Anordnung:

„…lässt sich nicht nachvollziehen, worin die sachliche und zeitliche Dringlichkeit einer Trennung des Kindes von seinen Eltern zu sehen ist, die den Sorgerechtsentzug auf Grundlage des nach wie vor lediglich vorläufig ermittelten Sachverhalts allein rechtfertigen könnte….“ (283) (Zur Dringlichkeit auch schon BVerfG v. 2.10.10 – 1 BvR 2414/10)

5. Zur Ermittlung milderer Mittel

BVerfG v. 24.3.2014 – 1BvR 160/14 – ZKJ 2014, S. 242 ff:

„Die hier maßgebliche Frage, ob der Gefahr für die Kinder nicht auf andere Weise als durch Trennung von den Eltern, auch nicht durch öffentliche Hilfen, begegnet werden kann (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB), betrifft eine verfassungsrechtlich zentrale Tatbestandsvoraussetzung und muss darum vom Familiengericht von Amts wegen aufgeklärt werden. Ob öffentliche Hilfen erfolgversprechend sind, muss das Familiengericht letztlich in eigener Verantwortung beurteilen, wozu es sich eine zuverlässige Entscheidungsgrundlage verschaffen und diese in seiner Entscheidung auch darlegen muss (vgl. BVerfGK 13, 119 <127 f.>). Die eigene Ermittlungspflicht trägt dazu bei, zu verhindern, dass Kinder von ihren Eltern getrennt werden, ohne dass die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 3 GG vorliegen und schützt damit Grundrechte der Eltern und des Kindes.

Weil die Ermittlungspflicht grundrechtliche Schutzfunktion entfaltet, können sich die Gerichte ihrer nicht ohne gesetzliche Grundlage entledigen – auch nicht im Wege der Annahme einer Bindung an Feststellungen des Jugendamts. Ob eine gesetzliche Bindung des Familiengerichts an die Feststellungen und Wertungen des Jugendamts besteht, ist – ungeachtet der Frage der Vereinbarkeit einer solchen Bindung mit dem Grundgesetz – zunächst eine Frage der Auslegung des einfachen Rechts. Aus §§ 1666, 1666a BGB oder den Vorschriften des SGB VIII über die Gewährung öffentlicher Hilfen ist für die Annahme Das Amtsgericht behauptet eine solche Bindung zwar, zeigt jedoch nicht auf, inwiefern diese durch Auslegung des geltenden Rechts hergeleitet werden könnte. Eine Bindung ergibt sich auch nicht aus den Grundsätzen über die verfassungsrechtliche Anerkennung administrativer Letztentscheidungsrechte. Danach sind behördliche Entscheidungen in besonderen, wiederum gesetzlich zu bestimmenden Konstellationen gerichtlich nur eingeschränkt auf ihre Rechtmäßigkeit überprüfbar. Dies gilt für behördliche Planungs- und Ermessensentscheidungen sowie ausnahmsweise für gebundene Entscheidungen, bei denen der Gesetzgeber der Verwaltung im Verhältnis zur die Verwaltung kontrollierenden Gerichtsbarkeit einen sogenannten Beurteilungsspielraum eingeräumt hat (vgl. BVerfGE 129, 1 <21 ff.> m.w.N.). Diese Grundsätze kommen hier – ungeachtet der fehlenden gesetzlichen Grundlage – jedoch bereits deshalb nicht zur Anwendung, weil die familiengerichtliche Entscheidung nach § 1666 BGB nicht als Kontrolle behördlicher Entscheidungen, sondern als eigene und originäre Sachentscheidung des Gerichts ausgestaltet ist. Die gerichtliche Kontrolle der Entscheidungen des Jugendamts über die Gewährung öffentlicher Hilfen obliegt de lege lata nicht den Familiengerichten, sondern den Verwaltungsgerichten (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 2001 – 5 C 6/00 -, juris, Rn. 11; Coester, in: Staudinger, 2009, § 1666a, Rn. 13; Olzen, in: Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch, 6. Auflage, 2012, § 1666, Rn. 177).

Dass das Familiengericht bei der Entscheidung nach § 1666 BGB nicht rechtlich an die Einschätzung des Jugendamts zur Eignung weiterer Hilfemaßnahmen gebunden ist, schließt freilich nicht aus, dass es bei der ihm aufgegebenen Ermittlung der für und gegen einen Sorgerechtsentzug sprechenden Tatsachen auch die Aussagen der seitens des Jugendamts mit dem Sachverhalt befassten Fachkräfte heranzieht. Das gilt auch für deren Einschätzung der Zweckerreichungseignung weiterer Hilfemaßnahmen. Beim Jugendamt werden häufig aufgrund unmittelbarer Kontakte mit den betroffenen Familien gute Kenntnisse über den einzelnen Sachverhalt bestehen, die sich das Familiengericht bei seiner Entscheidungsfindung zunutze machen kann. Das Gericht hat diese Aussagen jedoch wie die Angaben anderer mit dem Fall befasster Personen genau zu analysieren, mit anderen Informationen abzugleichen und in den größeren sachlichen Kontext zu stellen, um so etwa besondere Spannungsverhältnisse berücksichtigen zu können, wie sie hier zwischen staatlichen Stellen und freien Trägern aufgetreten zu sein scheinen. Es hat all das rechtlich zu würdigen und vor diesem Hintergrund eine eigene Entscheidung darüber zu treffen, ob die Entziehung des Sorgerechts durch (weitere) Maßnahmen öffentlicher Hilfe abgewendet werden kann und darum aus Gründen der Verhältnismäßigkeit unterbleiben muss. Dem wird das Familien-gericht nicht gerecht, wenn es ohne Weiteres von einer Bindung an die Einschätzung des Jugendamts ausgeht.

(bb) Das Amtsgericht durfte die Inanspruchnahme öffentlicher Hilfen auch nicht deshalb als denkbares milderes Mittel außer Betracht lassen, weil die Durchführung einer vom Jugendamt bereits abgelehnten Hilfemaßnahme praktisch nicht durchsetzbar wäre. Zwar ist ungewiss, ob das Familiengericht befugt ist, das Jugendamt zur Gewährung öffentlicher Hilfen zu verpflichten. Jedoch können die Personensorgeberechtigten den Anspruch auf Hilfen nach §§ 27 ff. SGB VIII grundsätzlich vor den Verwaltungsgerichten durchsetzen. Allerdings ist der Mutter hier auch das Recht zur Beantragung von Hilfen entzogen und gerade auf das Jugendamt als Ergänzungspfleger übertragen worden. Das Jugendamt kann den Anspruch auf öffentliche Hilfen im Weigerungsfall nicht gegen sich selbst im Gerichtswege durchsetzen. Das den Eltern unverändert zustehende Grundrecht aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG gebietet indessen, auch in diesem Fall eine effektive Möglichkeit gerichtlicher Überprüfung der behördlichen Entscheidungen zu eröffnen. Mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG wäre es nicht zu vereinbaren, wenn im grundrechtssensiblen Bereich des Kindesschutzes eine Situation entstünde, in der behördliche Entscheidungen über die Gewährung öffentlicher Hilfen gerichtlicher Überprüfung entzogen wären. Das gilt erst recht dann, wenn diese Hilfen – wie hier – ein Mittel zur Abwendung der Trennung des Kindes von den Eltern sein können (§ 1666a Abs. 1 Satz 1 BGB), ohne deren Gewährung das Kind von den Eltern getrennt werden müsste. Das Amtsgericht durfte darum nicht allein wegen der ablehnenden Haltung des Jungendamts von der fehlenden Möglichkeit öffentlicher Hilfen ausgehen.

(cc) Das hier aus der Annahme einer vollumfänglichen Bindung an die Einschätzung des Kreisjugendamts resultierende Defizit bei der Ermittlung und Berücksichtigung milderer Mittel führt angesichts der Eingriffsintensität ohne Weiteres zur Verfassungswidrigkeit der Entscheidung. …..“

6. Zur Einbeziehung von Kindern:

BVerfG vom 5. 11.1980 = NJW 1981, 217, 218

„Wenn der Gesetzgeber, insbesondere im Hinblick auf die Ausformung der Anhörungsvorschriften, eine den verfassungsrechtlichen Anforderungen entsprechende normative Regelung für Sorgerechtsentscheidungen getroffen hat, so ist damit die Durchsetzung des Kindeswohls im Sorgerechtsverfahren noch nicht gesichert. Im Gesetzgebungsverfahren teilte der Rechtsausschuß die Auffassung des mitberatenden Ausschusses für Jugend, Familie und Gesundheit, daß die an Familien- und Vormundschaftsgerichten tätigen Richter durch Aus- und Weiterbildung mit den Grundlagen der Pädagogik und Psychologie vertraut gemacht und dadurch befähigt werden sollten, in größerem Umfang als bisher die betroffenen Kinder und Jugendlichen selbst zu hören (BT Drucksache 8/2788, S. 42). Das Problem der kindgerechten Anhörung kann danach letztlich nicht vom Gesetzgeber gelöst werden. Es ist vielmehr die schwere Aufgabe des Familienrichters, die Anhörung möglichst weitgehend entsprechend den individuellen Verhältnissen zu gestalten ( vgl. dazu Antzen, Elterliche Sorge und persönlicher Umgang mit Kindern aus gerichtspsychologischer Sicht, S. 51)“